Breites Gremium schafft Hoffnung
Eine weitreichende Strategie für Europas künftige Landwirtschaft liegt nun vor. Darin spielt der Ökolandbau eine zentrale Rolle. Land- und Lebensmittelwirtschaft haben diesen Weg im Auftrag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Strategiedialog entworfen. Die Kommission hatte zuvor deutlich gemacht, dass sie eine umfassende Transformation für geboten hält.
Ein 29-köpfiges Gremium, das den Land- und Ernährungssektor, die Wissenschaft sowie die Zivilgesellschaft repräsentierte, hat den Abschlussbericht des Strategiedialogs Anfang September vorgelegt. Er umfasst rund 110 Seiten. Die Beteiligten haben die einzelnen Punkte im Konsens verabschiedet. Mit diesem Verfahren ist die Hoffnung verbunden, die polarisierte Debatte rund um die Bauernproteste zu versachlichen. Gemeinsam soll an der formulierten Vision und Zielstellung gearbeitet werden.
"Wir brauchen mehr Dialog und weniger Polarisierung" Ursula von der Leyen
Messlatte sind die EU-Umweltziele. Den Auftrag hatte von der Leyen klar formuliert: „Wir brauchen mehr Dialog und weniger Polarisierung.“ Sie sei weiterhin überzeugt, dass „Landwirtschaft und Naturschutz Hand in Hand gehen können. Wir brauchen beides.“ Die Kommission betrachtet die Reform des Sektors als notwendig, weil er der erste ist, der die planetaren Grenzen zu spüren bekommt, zugleich aber den Fortgang der Umwelt- und Ressourcenkrise bedeutend beeinflussen kann.
Für die Weiterentwicklung der GAP empfiehlt der Abschlussbericht die Abkehr von der Konditionalität, eine deutlich verbesserte Honorierung von Umwelt, Klima- und Tierwohlleistungen und eine soziale Einkommensstütze. Die Kommission ist gefordert, ein Benchmark-System für Nachhaltigkeitsleistungen zu entwickeln und dabei gesamtbetriebliche Ansätze zu berücksichtigen. Zudem sollen Wertschöpfungsketten fairer und besser vor unlauteren Handelspraktiken (UTP) geschützt werden. Einen nachhaltigen Wettbewerb soll § 210a GMO fördern, den Bioland als Vorreiter bereits in Pilotprojekten bearbeitet. Ein Hindernis hat der Strategiedialog auch in der Vielzahl von Nachhaltigkeitsstandards erkannt, sie sollen vergleichbar gemacht werden. Die Bedeutung Neuer Gentechniken greift das Papier nicht auf, für die Transformation wird ihnen somit eine untergeordnete Rolle zuteil.
Zentral ist die Anerkennung des ökologischen Landbaus als führendes, gesetzlich reguliertes Nachhaltigkeitssystem. In einem mehrstufigen EU-Tierschutzkennzeichnungssystem soll der Ökolandbau den höchsten Standard setzen.
„Entscheidend ist der Systemansatz“
Jan Plagge, Präsident von Ifoam Organics Europe, hat im Strategiedialog verhandelt.
Der Ökolandbau spielt in dem Abschlussbericht eine zentrale Rolle. Wie ist es dem breitgefächerten Gremium gelungen, dessen Prinzipien derart zu integrieren?
Jan Plagge: In der gesamten Gruppe bestand Einigkeit, dass wir gleichzeitig an allen Disziplinen arbeiten müssen, also sowohl an den ökologischen Herausforderungen wie Klimaschutz, Biodiversität, Boden und Wasser, als auch am Tierwohl und an der sozialen Aufgabe zwischen Landwirtschaft und Ernährung. Zentral sind auch die ökonomischen Herausforderungen. Der Ökolandbau arbeitet an allen Disziplinen gleichzeitig, verbindend und vernetzend. Das ist der rote Faden, der sich durch den Bericht zieht.
Direkt nach Erscheinen des Reports hat der Deutsche Bauernverband an dessen Umsetzbarkeit gezweifelt. Wie belastbar sind die im Strategiedialog erarbeiteten Pläne in Europa?
Plagge: Die Reaktion hat mich überrascht. Die Empfehlungen sind gemeinsam mit dem europäischen Dachverband, in dem der Deutsche Bauernverband Mitglied ist, erarbeitet worden. Auch viele andere Praktiker waren dabei, Agrargenossenschaften, Handel, Verarbeitung und die Jungbauern. Wir haben darauf geachtet, dass die Empfehlungen kurzfristig, also in den nächsten fünf Jahren, in der Praxis umsetzbar sind und Wirkung erzielen. Der Bericht ist die Grundlage für die Vision und das konkrete Arbeitsprogramm der Kommissionspräsidentin und gibt die Orientierung für den neuen Agrarkommissar Christophe Hansen. Wie kann es mehr Belastbarkeit geben?
Wie kann das vorgeschlagene europäische Modell in globalen Märkten funktionieren?
Plagge: Wir wollen ein klares Verständnis dafür entwickeln, was Nachhaltigkeit in ganz unterschiedlichen, diversen Agrarsystemen heißt. Heute erleben wir ein weltweites Wettrennen um Methoden und Standards zur Nachhaltigkeitsmessung, das erzeugt Chaos und falsche Anreize. Der Abschlussbericht stellt fest, dass die vielen methodischen Festlegungen etwa zum Klimaschutz in landwirtschaftlichen Lieferketten mit einer diversen Praxis nicht übereinstimmen. Der Vorschlag ist, über ein Benchmarking-System eine Vergleichbarkeit herzustellen und dann Methoden anzubieten, die einem gesamtbetrieblichen, ganzheitlichen, systemischen Ansatz entsprechen. Wir wissen aus den Debatten mit den Wissenschaftlern auch während des Dialogs, dass genau dieser gesamtbetriebliche und regionale Systemansatz der einzige ist, der diesen vielfältigen Herausforderungen Rechnung trägt.
Wie muss jetzt die Arbeit in Kommission, Parlament und Rat aussehen, auch mit Blick auf den Kommissionsvorschlag zum mittelfristigen Finanzrahmen ab Juli 2025?
Plagge: Der Kommissar und sein Kollegium müssen den Bericht und die strategische Stellung der Landwirtschaft und Ernährung ernst nehmen und die Empfehlungen in das Arbeitsprogramm der Kommission für die nächsten fünf Jahre übersetzen. Das ist dann die Grundlage für die konkreten Initiativen, die die Kommission vorbereitet, inklusive der Budgetvorschläge und der Planung der Finanzen, aber vor allen Dingen der kommenden GAP. Wichtig ist eine schnelle Entlastung der Betriebe bei der Bürokratie und für den Ökolandbau bei widersprüchlichen Bewirtschaftungsauflagen, der Kalenderlandwirtschaft. Wir haben vorgeschlagen, dass der Dialog über das sogenannte European Board of Agrifood institutionalisiert wird, mit einem klaren Mandat und deutlich mehr Transparenz als in der Arbeitsphase.
Welche Schritte muss der Ökolandbau gehen?
Plagge: Das Wichtigste ist, dass der Ökolandbau seiner Rolle als beste Praxis und Orientierung für einen ganzheitlichen Systemansatz gerecht wird. Dazu werden auch die Lieferketten für biologische Lebensmittel zu den wesentlichen Themen einer Nachhaltigkeitsberichterstattung berichtsfähig werden müssen. Dazu muss das Gefüge dieses Nachhaltigkeits-Benchmarking mit den Erfahrungen und dem Systemansatz des Ökolandbaus verbunden werden. Wir brauchen also konkrete Antworten und Vorschläge, die auch in der Praxis funktionieren, wenn es um den Nachweis von Klimaschutzleistungen geht, um Biodiversitätsleistungen oder die Wirkungsweise der artgerechten Tierhaltung für die Tiergesundheit. Bioland hat in allen drei Bereichen schon viel Pionierarbeit geleistet. Wir wollen diesen Prozess gemeinsam mit unseren Verbündeten mitgestalten. Wir spielen eine sehr relevante Rolle und müssen uns als Teil der gesamten Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft sehen. Wir brauchen eine hundertprozentig nachhaltige Ernährungswirtschaft gemeinsam mit der gesamten Gesellschaft, die im Rahmen der planetaren Grenzen langfristig funktioniert.
Wird es künftig wieder mehr Freude machen, Landwirtinnen und Landwirt zu sein?
Plagge: Das hoffe ich. Aber daran müssen sehr viele mitwirken. Es macht ja nicht zufrieden, dass jeder Recht haben will, dann aber keine Wirkung zu erzielen. Die Polarisierung in der Gesellschaft und unserem Bereich zu überwinden, wird mehr Freude bereiten, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir sind uns einig, dass Bäuerinnen und Bauern ein gutes Einkommen erlösen müssen. Das ist die Voraussetzung von Zufriedenheit. Betriebe, die sich ja freiwillig für den Ökolandbau entschieden haben, brauchen eine Befreiung von Bewirtschaftungsauflagen, die gar nicht für den Ökolandbau gemacht wurden. Das ist in dem Bericht enthalten, wie vieles andere, was für mehr Freude und mehr Zufriedenheit in der Arbeit als Bäuerin und Bauer, aber auch als Hersteller und Händler und Bürgerin und Bürger sorgen sollte.